Zu 'Supercargo' | BERNHARD GARNICNIG

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Supercargo erzählt die Geschichte eines Künstlers, der auf ein Artist-In-Residency Programm nach Shanghai, China, eingeladen wird. Um die kulturelle und subjektive Differenzerfahrung zu maximieren, gestaltet er den Weg dorthin als ästhetisch-existentialistisches Erlebnis und reist auf dem Seeweg an Bord eines Frachtschiffes. 

Die Route Hamburg – Rotterdam – Shanghai verbindet Europas größte Frachthäfen mit dem ebenfalls wichtigsten Hafen der “Fabrik für die Welt” China. In diese Richtung werden generell weniger Waren transportiert,  Europa steht China vor allem in einem Konsumentenverhältnis gegenüber.

Die wirklich maßgeblichen Exporte aus Europa nach China bestehen vor allem aus nicht-materiellen Gütern, zum Beispiel Kulturgüter, wie Christoph Schwarz sie in dieser Situation personifiziert.

Ausgangspunkt von Supercargo ist der Blick auf die Containerlandschaft im Hafengelände von Hamburg. In Rastern und Türmen angeordnet scheinen die bunten Container einzelne Punkte eines Bildes zu sein, dessen Motiv erst aus einer globalen Perspektive erkennbar wird. Der Container wird zum Symbol dieses Prozesskomplexes, der weit über logistische Problemstellungen hinaus geht. In Fotoessays, Dokumentationen und in den Nachrichten wird über den Container als Zeichen versucht, Phänomene der Globalisierung zu bezeichnen.

Die weitreichenden Auswirkungen, die geopolitischen Zusammenhänge und globalen sozialen Ungerechtigkeiten werden erst durch bunte Kisten indirekt abbildbar. 

Christoph Schwarz hat sich in eine Situation gebracht, in welcher er unmittelbarer Bestandteil dieser Vorgänge wird. Auf seiner vier Wochen dauernden Reise geht die Präsenz dieses Themas in der Selbstwahrnehmung des Reisenden jedoch unter. Seine persönliche Situation auf dem Schiff, vor allem seine Einsamkeit, beginnt ihn zu beschäftigen. Mit der Zeit entwickelt er ungewöhnliche Verhaltensmuster, baut persönliche Beziehungen zu den geladenen Containern auf. Er gibt ihnen Namen und behandelt sie als Mitreisende, als wären sie Freunde.  So ensteht eine Geschichte, die von der sozialen Isolation und dem sukzessiven mentalen Zusammenbruch des Künstlers erzählt.

Als Hintergrund dieser Erzählung über einen postindustriellen, bilateralen Kulturaustausch wählt Schwarz jedoch nicht nur eine omnirelevante sozialpolitische Thematik oder eine abenteuerliche, romantische künstlerische Methode, deren Exzessivität ihm selbst zum Verhängnis wird. (Erinnern wir uns an dieser Stelle an Bas Jan Ader, der auf seinem Versuch mit einem kleinen Segelboot den Atlantik zu überqueren, verunglückte)

 Er modifiziert unsere Wahrnehmung seiner Reisedokumentation und -reflektion durch einen minimalen Eingriff: Zu Beginn des Videos schildert der Erzähler, wie Christoph Schwarz der einzige Mensch auf dem Superfrachter ist, der nach der Beladung auf einem “semi-automatischen Kurs” über das Meer nach China gesteuert wird. 

Hier vollzieht Christoph Schwarz einen Eingriff, der sonst vor allem von Science Fiction Autoren verwendet wird. World Building ist eine Methode in der Science Fiction Literatur, die Welt zu beschreiben in der eine Geschichte spielt. Der Autor formuliert dabei die Abweichung zwischen dem was der Leser als Invariablen seiner Existenz voraussetzt - physikalische Konstanten, Formen gesellschaftlicher Strukturen oder den Entwicklungstand maßgeblicher Technologien - und welche alternativen Parameter die interne Logik einer fiktiven Parallelwelt voraussetzt.  

Dieser Eingriff eröffnet eine andere Bedeutungsebene in der Erzählung. Gemeinsam mit der Geschichte über einen Künstler, der versucht, sich mit seiner persönlichen Situation im Kontext unbewältigbarer globaler Ungerechtigkeiten wortwörtlich anzufreunden, versetzt er den Betrachter in eine Situation, in der er zu glauben beginnt, die postfordistische Güterwirtschaft sei tatsächlich schon so weit automatisiert, dass  sich Frachtschiffe ferngesteuert über die Weltmeere bewegen.

Für die Dauer des Videos können wir unsere Skepsis gegenüber den problematischen Aspekten der globalen Auswirkungen unseres Handelns hinter uns lassen, und uns einer temporären Deaktivierung unserer kritischen Wahrnehmungsvalidierung hingeben. Christoph Schwarz lässt uns die Wahl, diese “suspension of disbelief” über das Ende des Kurzfilms andauern zu lassen.

 

Dezember 2010